Rede zum 1. Mai 2023
Liebe Festgemeinde, liebe Freundinnen und Freunde
Es freut und ehrt mich sehr, darf ich heute hier vor euch stehen und eine Rede zum 1. Mai zu halten. Unter anderem dieser Tag hat mich politisch sozialisiert. Ich war früh fasziniert von der Kraft des 1. Mai. Von der Erkenntnis, dass an diesem Tag ganz viele Gleichgesinnte überall auf der Welt zusammenkommen, um laut und deutlich Fortschritt und Verbesserung zu fordern. Und um dafür zu kämpfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es ist bis heute mein absoluter Lieblingsfeiertag.
Ich erachte es als riesiges Privileg, dass ich seit schon bald zwei Jahren die Möglichkeit habe, als Stadtrat von Olten am gewünschten Fortschritt und den Verbesserungen direkt mitzuarbeiten und die Stadt von Morgen mitzugestalten. Gerne übernehme ich einen Teil der Verantwortung im Kleinen, hier in Olten, dafür zu sorgen, dass die Welt von Morgen eine bessere ist als die Welt von heute.
Ich erzähle euch nichts neues, wenn ich offenlege, dass es mir dabei oft zu langsam geht. Dass ich es mir bei meiner Wahl zum Stadtrat vor zwei Jahren vielleicht zum Teil auch etwas zu einfach vorgestellt habe. Versteht mich nicht falsch, ich bin der Meinung, dass wir gut unterwegs sind in unserem fünfköpfigen Gremium. Wir arbeiten toll zusammen und wenn man es objektiv betrachtet, konnten wir auch bereits einiges bewegen. Aber eben, manchmal geht es mir zu langsam.
Es war mir bewusst, auf was ich mich einlasse als ich mich zur Wahl gestellt habe. Nämlich auf ein Schweizer System, in dem es darum geht für die Ideen und Projekte Mehrheiten zu finden. Ein System, in welchem man alle Kräfte einbinden muss und Lösungen nur dann nachhaltige Lösungen sind, wenn sie von einer klaren Mehrheit getragen werden. Alles andere steht auf wackligen Beinen.
Ich mache das auch gerne. Mehrheiten finden, Lösungen diskutieren, Menschen überzeugen und begeistern. Deshalb habe ich mich für dieses Amt beworben.
Wir müssen aber ehrlich sein. Es gelingt uns in Olten in den letzten Jahren nicht immer, mehrheitsfähige Geschäfte auszuarbeiten und im Parlament zu diskutieren und zu verabschieden. Dazu tragen sowohl das Parlament ihren als auch wir als Stadtrat unseren Teil bei. Aktuelle Beispiele sind die verloren gegangene Abstimmung zum Kunstmuseum, aber auch die beiden Budgetabstimmungen 2019 und 2022 haben das gezeigt. Dieses Problem kennen wir aber nicht nur in Olten. Auch auf nationaler Ebene werden immer wie mehr Geschäfte im Nachgang von jenen bekämpft, welche mit ihren Anliegen im Parlament gescheitert sind. Diese Entwicklung macht unser oft bereits träges System noch langsamer. Und es kratzt an der Glaubwürdigkeit der Politik.
Ich bin überzeugt, dass gewählte Politikerinnen und Politiker dafür sorgen müssen, dass im Parlament mehrheitsfähige Lösungen ausgearbeitet und verabschiedet werden. Und dass Geschäfte, wenn sich alle zu Kompromissen durchgerungen haben, auch dann unterstützt werden sollten, wenn sie nicht 100% dem Entsprechen was man sich zu Beginn gewünscht hat. Jederzeit auf den Maximalforderungen zu beharren, blockiert jede Entwicklung. Und dafür haben die Menschen, die uns wählen wenig Verständnis.
Selbstverständlich ist es wichtig, dass die Politik auch ausserhalb der Parlamente gestaltet wird. Es ist kein Geheimnis, dass die Parlamente und Exekutiven, und dazu gehört auch das Oltner Parlament und der Oltner Stadtrat, nicht alle Menschen die hier leben repräsentieren. Umso mehr ist es nötig, dass diesen Menschen auf andere Art und Weise Gehör verschaffen wird. Dazu gehört auch, dass Entscheide mittels Referenden korrigiert werden können. Gerade wenn sie Ungerechtigkeiten schaffen.
Und genau deshalb ist und bleibt der 1. Mai auch weiter unglaublich wichtig. Wichtig, damit jene Themen gehört werden, die sonst zu wenig beachtet oder zu langsam bearbeitet werden. Oder bei denen die Entwicklung in eine falsche Richtung geht.
Und auch der heutige Tag zeigt, dass es doch einige Themen sind, die dringend angegangen werden müssen. Sei es der Kampf gegen den Klimawandel, welcher leider immer noch nur schleppend vorangeht. Bei dem wir aber hoffentlich am 18. Juni wenigstens einen kleinen Schritt vorwärtskommen und geschlossen Ja sagen zum Klimaschutzgesetz. Danach geht der Kampf jedoch unmittelbar weiter. Es gilt dann gerade auch im Kanton Solothurn für eine nachhaltige Klimapolitik einzustehen und das neue Energiegesetz endlich auf den Weg zu bringen.
Aber auch Lösungen gegen den Arbeitskräftemangel in systemrelevanten Berufsfeldern müssen dringend entwickelt werden. Vor allem im Gesundheitswesen, in der Bildung aber auch in der Begleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen und Menschen mit Behinderungen fehlen unglaublich viele Arbeitskräfte. Vorschläge und gute Ideen gibt es viele. Sie müssen nur gehört werden. Und es braucht Geld, damit diese umgesetzt werden können.
Die Umsetzung der vom Volk im November 21 angenommenen Pflegeinitiative ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, kommt aber auch nur langsam voran.
Auch bei den Renten, konkret bei der beruflichen Vorsorge, gibt es noch einiges zu tun. Die vom Bundesparlament im März verabschiedete BVG-Reform scheint in der Bevölkerung, wenn man ersten Umfragen glaubt, keine Mehrheiten zu finden und eine Volksabstimmung ist so gut wie sicher. Keine Überraschung, führt die Reform doch gerade bei tiefen und mittleren Löhnen zu höheren Abzügen und insgesamt zu tieferen Renten aus der zweiten Säule.
Hier wird es also darum gehen, eine neue Vorlage auszuarbeiten, die auch die Anliegen der Arbeiterinnen und Arbeiter berücksichtigt. Und die für die Menschen in diesem Land eine Verbesserung bringt.
Dazu braucht es eine starke Linke, die ihre Perspektive auf die Themen laut und deutlich in die Diskussion einbringt. Denn ich bin überzeugt, dass wir nur so austarierte Kompromisse finden und breit abgestützte Lösungen ausarbeiten können, die am Ende von beiden Seiten getragen werden.
Wie einige von euch wissen, habe ich das Glück, in den nächsten Wochen zum ersten Mal Vater zu werden. Ich freue mich riesig auf das, was kommt. Aber wie wohl alle werdenden Eltern mache auch ich mir Gedanken, in was für eine Welt unser Kind geboren wird. Und was ich tun kann, damit es eine gute Welt ist und sein wird.
Glücklicherweise ist heute einiges besser, als es noch zu Zeiten meiner Eltern war. Es ist normaler, dass sich auch Väter aktiv an der Care Arbeit beteiligen und mehr zu Hause sind. Anstelle von einem Tag gibt es mittlerweile zwei Wochen bezahlten Urlaub für Väter. Und es gibt viel mehr familien- und schulergänzende Kinderbetreuung als das noch vor dreissig Jahren der Fall war. Alles Dinge, die die Gleichberechtigung unterstützen und vorantreiben.
Es ist aber bei weitem noch nicht genug. Soll Care-Arbeit in Zukunft wirklich aufgeteilt werden können, braucht es in der Schweiz eine Elternzeit die vergleichbar ist mit jener in anderen Ländern Europas. Gerade in den ersten Wochen und Monaten müssen sich die Abläufe in einer jungen Familie einspielen können und da müssen beide Elternteile Zeit haben und zu Hause sein.
Die Elternzeit würde auch dazu führen, dass die Reaktionen bei der Arbeit nicht komplett unterschiedlich sind, ob ein Mann Vater oder eine Frau Mutter wird. Heute ist es so, dass sich beim Vater alle freuen und davon ausgegangen wird, dass sich für den Arbeitgeber nichts verändert. Bei der Frau freut man sich zwar auch, gleichzeitig wird die Schwangerschaft aber auch als Belastung empfunden. Für 14 Wochen muss eine Stellvertretung gesucht werden. Und oft ist die Frau gezwungen, nach der Geburt in einem tieferen Pensum zu arbeiten um die Kinderbetreuung sicherzustellen.
Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen und Realitäten können nur geändert werden, wenn beide Elternteile für eine gewisse Zeit gemeinsam aus dem Arbeitsprozess aussteigen. Und wenn wirklich gleichberechtigt entschieden werden kann, wie die Betreuung nach der Geburt aufgeteilt wird.
Doch nicht nur über die unmittelbare Zeit nach der Geburt und die Aufteilung der Betreuung in unserer neuen Familie mache ich mir Gedanken. Welche Bildungschancen hat mein Kind? Gibt es in Zukunft einen bewohnbaren Planeten? Und wie gehen wir mit den Konsequenzen des Klimawandels um? Wie verändert sich die Arbeitswelt mit der fortschreitenden Digitalisierung? Wie gehen wir als Familie mit den Herausforderungen von Social Media und ständiger Erreichbarkeit um? All diese Fragen schwirren mir im Kopf herum.
Abschliessende Antworten habe ich auf keine dieser Fragen. Ich weiss aber, dass ich mich weiter dafür einsetzen werde, dass wir die bestmöglichen Antworten darauf finden. Sei dies hier in Olten, wo ich direkt in die Erarbeitung und Umsetzung möglicher Lösungen involviert bin, aber auch darüber hinaus.
Die Aufgaben gehen uns in den nächsten Monaten und Jahren nicht aus. Nicht in Olten, nicht im Kanton Solothurn, nicht in der Schweiz und nicht auf dieser Welt. Wir alle können dafür Sorgen, dass die Welt in welche unsere Kinder geboren werden und in welcher sie aufwachsen eine Bessere, eine Gute ist. Dafür müssen wir uns engagieren, wir müssen uns zusammentun und müssen für unsere Lösungen kämpfen und Mehrheiten finden.
Und der heutige 1. Mai macht mir Mut. Wenn ich euch alle hier in der Schützi sehe, bin ich überzeugt, dass wir all die anstehenden Aufgaben schaffen werden. Merci für all euer Engagement und merci dafür, dass ihr die Hoffnung nie verliert und euch den Traum einer besseren Welt nicht nehmen lässt.
Ich wünsche euch allen noch einen schönen 1. Mai!